Das "Stein-Zeug" der Silvia Breitwieser - 70er Jahre
Die besondere Eigenschaft der verwendeten Textilgewebe - meist Verbandsmull und Windelmull - besteht darin,
dass sie luftdurchwirkt sind, dass sie atmen und dass sich selbst der letzte kleinste Faden noch so fädelt, dass
überall ein gewisser Luftspielraum bleibt. Dadurch bestimmen sich die Formen und die taktilen Qualitäten dieser
Stoffe. Wird ein solches Tuch von der Künstlerin versteinert, so hat es den Anschein, als hätten diese Luftspielräume
unter die Oberfläche weichen müssen, von wo aus sie den Stein nunmehr mit energetischen Spannungen aufblähen. Ein
sehr differenziert und dynamisch aufgefaßter Luftraum scheint für das künstlerische Werk konstitutiv zu sein.
Ähnliches gilt auch für das Wasser; denn die Stofftextur konnte in die Oberfläche des Tones nur deshalb EIN-DRUCK
finden, weil das Element Wasser dies vermittelte. Deutlich ist zu erkennen, wie sich nasses Gewebe mehr oder minder
fließend in den Ton schmiegt, wodurch manche Linien auch merkwürdig verwischt werden. So bleibt trotz Trocknung in der
Luft und Brennen im Feuer der einstmals feuchte Aggregatzustand ablesbar. Ton ohne diese Gewebespuren würde uns das
verheimlichen. Der Weg der Spurenelemente läuft von der Erde, über das Wasser und die Luft zum Feuer: die Steintücher
sind EIN KERAMISCHES MODELL FÜR DEN ZUSAMMENHANG UND DAS ZUSAMMENWIRKEN DER VIER ELEMENTE.
Ulrich Giersch
in: S.B., Insignien-Erden, Katalog, Berlin, Oldenburg 1985